Imatges de pàgina
PDF
EPUB

Die

Findelhäuser und das Findelwesen

Europa's,

ihre Geschichte, Gesetzgebung, Verwaltung,
Statistik und Reform.

Von

Dr. Fr. S. Hügel,

Director des Kinder-Kranken-Institutes im Bezirke Wieden in Wien: des Doctoren-Collegiums der
medicinischen Facultät, des nieder-österreichischen Gewerbe Vereines und der k. k. zoologisch-bo-
tanischen Gesellschaft in Wien; des deutschen National Vereines für Handel und Gewerbe in
Leipzig, des Vereines der grossherzoglich Baden'schen Medicinal-Beamten zur Förderung der
Staats-Arzneikunde; der deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Physiologie zu Neuwied wirk-
liches, des ärztlichen Vereines in München; der Gesellschaft für Natur- und Heilkunde in Dresden
correspondirendes Mitglied; Membre titulaire de l'Institut d'Afrique, und Inhaber der k. k. öster-
reichischen grossen goldenen Gelehrten-Medaille etc. etc

Faisons le bien, disons le vrai, cherchons
le juste, et attendons!

De Lamartine, Politique

rationelle.

Wien, 1863.

Verlag, Druck und Papier von Leopold Sommer.

45

IV

Auf diesen Mangel hatte der Abgang officieller und statistischer Quellen einen mächtigen Einfluss geübt, und das lebhafte Verlangen der Regierungen und der öffentlichen Meinung nach Reformen des Findelwesens konnte in Ermanglung dieser festesten der Grundlagen nicht befriedigt werden.

Noch zur Stunde bestehen über diese Frage divergirende Ansichten, die nur durch eine nach allen Richtungen hin genommene Kenntnissnahme der Thatsachen, durch eingehende vergleichende Studien des Findelswesens aller Staaten, und durch eine kritisirende Parallelisirung der katholischen und protestantischen Versorgungsweise der Findlinge endgiltig erledigt werden können.

Noch immer gefällt man sich in der Aufstellung von Extremen und Negationen; noch immer versäumt man es, den Weg einer diese beiden Factoren nivellirenden Vermittelung zu betreten; noch immer fehlt es an einer Gleichförmigkeit der Gesetzgebung im Findelwesen, wozu die Klugheit anräth und die Humanität hintreibt. Allerdings ist es schwierig, den Pflichten der christlichen Charitas, welche die Unterstützung der Findlinge bevorwortet; den Anforderungen der Moral, die nicht will, dass die Immoralität privilegirt und mit einer Prämie dotirt werden soll; der gebieterischen Nothwendigkeit der politischen Oeconomie, welche die enormen Auslagen für die Findlinge zurückweist, gleichmässige Rechnung zu tragen; aber gerade nur in der richtigen Behandlung dieser Trias liegt allein die glückliche Lösung der Findlingsfrage. Die späteren Forschungen ausgezeichneter französischer Schriftsteller, wie jene eines Terme, Montfalcon, Remacle, Benoiston de Châteauneuf, Gaillard, de Gerando u. a. m., sowie jene einiger belgischer Autoren, wie eines Ducpetiaux, Quetelet u. a. m., überragen schon weit jene ihrer Vorgänger, weil ihnen eben schon wichtige Quellen auf dem Felde der

t

Statistik erschlossen wurden, jener Wissenschaft, welche der Herr Regierungsrath Engel in Sachsen mit Recht „die Physik des Staates und der Gesellschaft nennt, welche die Grundlage aller Staatskenntnisse und aller Staatsverwaltung bildet." Soll aber die Statistik eine solche Grundlage bilden, so muss die bisherige Geheimthuerei mancher Regierungen und Findelhaus-Directoren aufgegeben werden; denn wie Engel ganz richtig bemerkt: „das befruchtende Element der Statistik ist die Oeffentlichkeit, d. h. es müssen von Jedem im Interesse der Oeffentlichkeit die nöthigen Auskünfte über die angefragten staatswirthschaftlichen Zustände rasch gegeben werden." Nachdem jedoch seit dem Erscheinen der letzten Monographie „über das Findelwesen in Frankreich" mehrere Decennien verflossen sind, und seit dieser Zeit das bezügliche statistische Materiale einen stetig sich mehrenden Zuwachs gewonnen hat, so glaubten wir, es sei an der Zeit, an die Stelle obsoleter und dermalen nicht mehr schlussfähiger Daten, an eine den Fortschritten der Wissenschaft gleichen Schritt haltende neue Bearbeitung des Findelwesens gehen zu sollen.

Die vorhandenen ausgezeichneten Werke über das Findelwesen, welche Frankreich geliefert hat, beschäftigen sich aber zumeist nur mit dem französischen Findelwesen, das der übrigen Länder haben die meisten gar nicht, und einige wenige nur sehr oberflächlich besprochen, ein Uebelstand, von dem auch die belgischen Arbeiten nicht freigesprochen werden können.

Deutschland hat ausser Dr. Raimund Melzer's „Geschichte der Findlinge in Oesterreich, mit besonderer Rücksicht auf ihre Verhältnisse in Illyrien" gleichfalls keine, das gesammte europäische Findelwesen behandelnde Monographie aufzuweisen. Unter diesem Hinblicke haben wir es, vor der Grossartigkeit der Aufgabe gleichwohl zurückschreckend, dennoch gewagt, eine Monographie über das gesammte

VI

europäische Findelwesen zu verfassen, indem wir im vorhinein auf die Milde unserer Richter rechnen zu dürfen geglaubt haben.

Wir gestehen es offen, dass wir bei dem Ausbaue dieses mühevollen und zeitraubenden Werkes dort und da Lücken lassen mussten, ein Umstand, der nicht einem Mangel an Quellenstudium und Eifer unsererseits, sondern nur dem Abgange des nöthigen schriftstellerischen Materials und der Unzugänglichkeit einzelner Regierungen und Anstaltsvorstände zugeschrieben werden muss.

Wir haben eine gedrängte Geschichte der Findlinge und Neugeborenen und deren prägnanteste Entwicklungsphasen bei den verschiedenen Völkerschaften vorangeschickt, und von der ersteren immer nur das benützt, was uns zur Beleuchtung der letzteren erheblich geschienen. Hierauf haben wir die speciellen Zustände der Findelhäuser und des Findelwesens, deren Geschichte, Gesetzgebung, Administration und Statistik jener Länder vorgeführt, welche die katholische Versorgungsweise der Findlinge adoptirten, und diesen jene der übrigen Länder ohne Findelhäuser, die der protestantischen Versorgungsweise der Findlinge huldigen, folgen lassen.

Ueberzeugt, dass auch die beste Darstellung aller dieser Verhältnisse nicht genügt, das bejammernswerthe Loos der Findlinge zu verbessern und die Ansichten der Regierungen und der öffentlichen Meinung für sie umzustimmen, waren wir bemüht, eine systematische Darstellung aller Reformen zu entwerfen, deren das gesammte Findelwesen unabänderlich bedarf. Um einen oft ventilirten Theil der Findlingsfrage, nämlich jenen über die Nothwendigkeit oder Entbehrlichkeit der Findelhäuser, endgiltig erledigen zu können, gingen wir an die kritische Beleuchtung der katholischen und protestantischen Versorgungssysteme, die uns zu einem letzten Schlussworte über diese schwierige Angelegenheit führte.

[ocr errors][merged small]

es schliesslich nicht unterlassen zu sollen, die Literatur über das Findelwesen unseren Lesern vorzuführen. Wir haben es nirgends verabsäumt, die Quellen, die von uns benützt wurden, kurz anzudeuten. Sollten wir durch die Veröffentlichung dieses Werkes eine Verbesserung der traurigen Lage einer halben Million Findlinge, welche nur allein jene Länder verpflegen, die Findelhäuser besitzen, erreichen, so würden wir die von uns unternommene Arbeit als keine fruchtlose ansehen.

Schliesslich halten wir es für eine Pflicht, den Männern, die uns auf das loyalste in dem statistischen Theile unserer Arbeit behilflich waren, öffentlich unseren Dank auszusprechen.

Unter die Reihe dieser Männer gehören:

Dr. A. Abelin in Stockholm.

Dr. F. K. Aschebong, Professor an der Universität zu Christiania, etc.

Dr. C. W. Asher, Mitglied des Vereines für hamburgische Statistik, etc.

Dr. M. M. v. Baumhauer, Chef des statistischen Bureaus im Ministerium des Innern im Haag, etc.

Dr. Fr. Th. Berg, Rath im Sanitäts-Collegium, Secretär der k. Tabellen-Commission, Professor in Stockholm, etc. Dr. Hugo Fr. Brachelli, Professor der Statistik am Polytechnikum in Wien, etc.

Dr. R. Dietz, grossherzoglicher Ministerialrath in Carlsruhe, etc.

Ed. Ducpetiaux, General-Inspector der Wohlthätigkeitsanstalten in Brüssel, etc.

P. Fr. Faull, geheimer Kanzleirath und Dirigent des statistischen Bureaus in Schwerin, etc.

Dr. Adolf Ficker, k. k. Ministerial-Secretär der administra tiven Statistik in Wien, etc.

« AnteriorContinua »